Apotheke vor Ort - ein Auslaufmodell?

Apotheke vor Ort - ein Auslaufmodell?

Rote Kleidung, rote Plakate und auch ein schwarz verhülltes A des Apotheken-Schildes: Mit einer großen Kampagne sorgten Apothekerinnen und Apotheker in Gera vor wenigen Tagen für Aufsehen bei vielen ihrer Kunden und Patienten. Mit der Aktion haben sie sich dem bundesweiten Protest „Apotheker sehen rot“ angeschlossen. Damit wollten sie erneut auf die dramatischer werdende wirtschaftliche Schieflage der Apotheken hinweisen. Sie versuchten, ein Zeichen gegen die Sparpolitik der Regierung zu setzen.

Pro Monat eine Apotheke weniger

„Allein in Thüringen haben in den vergangenen 15 Monaten 16 Apotheken geschlossen. Sozusagen gibt es pro Monat eine weniger“, berichtet Sandra Diezel, Gebietsvertrauensapothekerin für den Notdienstkreis Gera. „Schaut man sich die Anzahl der Apotheken von 1970 bis 2023 an, haben wir derzeit den niedrigsten Stand in Deutschland seit 1979“, erklärt die Inhaberin der Linden-Apotheke in Gera Langenberg. Und noch eine Zahl hat Sandra Diezel parat: Bundesweit schlossen im vorigen Jahr rund 500 Apotheken – etwa so viele, wie es derzeit - noch - in Thüringen gibt.

„Die Entwicklung ist besorgniserregend“, so die Geraerin. Dabei sei die Apotheke vor Ort ein zentraler Pfeiler der Gesundheitsfürsorge. Mittlerweile würden jedoch immer mehr Hindernisse deren Fortbestand infrage stellen - angefangen vom permanenten Medikamentenengpässen, über den Versandhandel bis hin zu den Reformplänen von Gesundheitsminister Lauterbach.

Reformpläne schon jetzt umstritten

„Seit Februar warten wir auf den Entwurf der Apothekenreform. Jetzt heißt es vor der Sommerpause und intern, danach“, kritisiert Diezel die Hinhaltetaktik. Schon jetzt hält sie den Plan, in ländlichen Regionen Apotheken ohne Apotheker zu etablieren, für höchst fragwürdig. „Was soll das? Jede Arztpraxis hat ihren Arzt, daran gibt es auch nichts zu rütteln. Eine Apotheke funktioniert nur in Wechselwirkung zwischen Apotheker und pharmazeutischem Personal.“

Nicht zuletzt hält auch die Digitalisierung etliche Tücken bereit. Beispiel E-Rezept: „Es funktioniert und auch nicht“, meint Diezel und muss angesichts technischer Ausfälle schmunzeln. Eine Zeitlang konnten stets zwischen 8 Uhr und 9 Uhr keine E-Rezepte beliefert werden, erzählt sie weiter. „Erklären Sie das mal einem Kunden, der dann noch einmal vorbeikommen muss.“ Sich in die absolute Abhängigkeit eines Systems zu begeben und gewissermaßen ausgeliefert zu sein, damit habe sie ihre Schwierigkeiten, bekennt Sandra Diezel.

Arbeit um Vielfaches aufwändiger geworden

Apotheken-Inhaberin Christiane Schopplich schreibt zur Situation: „Seit nunmehr fast 21 Jahren führe ich die Aesculap-Apotheke in Gera und habe schon einige Veränderungen und Turbulenzen im Apothekenmarkt miterlebt. Aktuell scheint sich aber das Bundesgesundheitsministerium völlig gegen uns als selbständige Apotheker zu wenden; ich habe das Gefühl, unsere Probleme werden ignoriert.“ Ein nicht unerheblicher Teil der deutschen Apotheken habe keinen finanziellen Spielraum mehr und je kleiner - bezogen auf den Umsatz mit Arzneimitteln - ein Apothekenbetrieb sei, desto gravierender sei dieser Zustand, führt die promovierte Apothekerin aus.

„Die Arbeit, die aktuell bei uns geleistet wird, ist um ein Vielfaches zeitaufwendiger, als es etwa 2019 noch war. Als Hauptgrund dafür sehe ich die enormen Lieferengpässe, die wir tagtäglich versuchen zu jonglieren: telefonische Abfragen bei Herstellern, Rücksprachen mit Ärzten und Patienten, ständige Umstellungen im Warenlager und vieles mehr.“

Zugleich betont auch Christiane Schopplich: „Die zunehmende Digitalisierung (Stichwort e-Rezept) heißt nicht gleichzeitig, dass alles schneller geht. Die neu eingeführten pharmazeutischen Dienstleistungen, deren Einführung gut und wichtig war, sind unter diesen Umständen mit den vorhandenen Mitarbeitern kaum zu leisten.“ Schopplich sei ihrem Team dankbar, dass es mit so viel Engagement täglich versucht, das Bestmögliche für die Patienten zu erreichen und bei all den Schwierigkeiten immer noch ein freundliches Wort bereit habe. „Eine Lohnerhöhung hätten sie sich schon deswegen alle verdient, aber da sind wir wieder beim finanziellen Spielraum.“

Kunden über die prekäre Lage aufklären

Ähnlich sieht es Diana Schneider, seit November 2023 Inhaberin der Platanen-Apotheke. Mit schwarzer Fensterdeko, verdecktem Apotheken-A und Klappendienst hat sie mit ihrem Team ebenfalls protestiert. „Die besagte Dekoration, die wir noch immer an unseren Schaufenstern haben, hat große Aufmerksamkeit bei unseren Kunden hervorgerufen. Diese sprechen uns an und machen sich große Sorgen, dass noch mehr und speziell wir bald schließen müssen“, schildert sie. Gerade aber die Kunden und Patienten über die prekäre Situation der Apotheken aufzuklären, hält sie für enorm wichtig. „Vielen Leuten ist immer noch nicht bewusst, was auf sie zukommt, wenn die Apotheke vor Ort stirbt“, so Diana Schneider. Für einen angestrengten Kurswechsel mit mehr Perspektive hofft sie auch auf die Unterstützung von Kunden und Ärzten, „denn von der Politik allein kommt nichts“, sagt sie ernüchtert. Dennoch: mit Leidenschaft sei sie Apothekerin, zudem gern Unternehmerin und Chefin.

Auch Diana Schneider befürchtet harte Einschnitte, wenn nicht gegengesteuert wird: länger Wege für die Patienten, weniger Apotheken-Notdienste vor Ort, Wegfall von individuell hergestellten Arzneimitteln und qualifizierter Arzneimittelberatung.

Vor Ort um zu bleiben

Und Apotheker Jens Berger, der nach seiner Ausbildung mit Chemie- und Pharmazie-Studium seit 22 Jahren die Apotheke Lusan in Gera leitet, betont: „Das Leiten einer öffentlichen Apotheke erschwert sich zunehmend. Tausende Apotheken mussten bereits schließen. Tendenz weiter anhaltend.

Die goldenen Apotheker-Zeiten seien längst vorbei, aber um jene drehe es sich auch nicht, betont Sandra Diezel. Vielmehr gehe es um einen wichtigen Teil der lokalen Gesundheitsversorgung, der im Interesse der Patienten und Kunden erhalten bleiben muss. „Wir sind da, um zu bleiben!“

Quelle: OTZ

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